Alles wie immer anders

Geschrieben am

Die erste Lange Nacht der Gezeitenkonzerte 2017

Lange Nacht der Gipfelstürmer
Lange Nacht der Gifpelstürmer, hier: Matthias Well, Daniel Seng, Verena Metzger, Sophia Schambeck, Raphael Paratore, Sarah Zelt und Philipp Wollheim, Foto: Karlheinz Krämer

Ist mangelnde Aufregung des moderierenden Programmheftschreibers nun ein gutes Zeichen oder ein schlechtes Omen? Am Freitag stand die (seit 2013) achte Lange Nacht auf dem Programm, mein Lieblingsformat, weil es ein Wandelkonzert ist und die Veranstaltung zwei Räume und daher glücklicherweise auch zwei Moderatoren braucht. Das bedeutet: Ein richtig schöner offizieller Grund, aus Hamburg nach Aurich zu kommen, keine Eintrittskarte vonnöten, außerdem einem Vierteltausend Besuchern etwas über Musik erzählen zu dürfen – perfekt. Danke für dieses Format bei den Gezeitenkonzerten, Matthias Kirschnereit!

Die Deutsche Bahn hatte auch Lust auf Improvisation an diesem Freitag und ließ unsere aus Rostock anreisende Schauspielerin Sarah Zelt wegen eines Lokschadens südlich von Hamburg etwas länger unterwegs sein – „mehr Fahrzeit fürs Geld“. Aber alle zehn Künstler waren gut eingespielt und über das scheinbar komplizierte Wandelkonzertprinzip ausführlich informiert zur Stelle, um nun an zwei Abenden viermal ihr Programm zu präsentieren.

Matthias Kirschnereit und ich teilen uns die Säle auf, ich habe am Freitag im Ständesaal moderieren dürfen. Also gab es Musik von Antonio Vivaldi, Joseph Haydn, Camille Saint-Saëns und Maurice Ravel, zwischendurch eine Schauspielpassage zum Thema „Träume“. Die Künstler, angekündigt als „Gipfelstürmer“, sind eigentlich schon mehr als Halbprofis auf ihren Instrumenten, also „Planetenstürmer“, wie ein Zuhörer meinte.

Kurzfristig zusammengefunden: Daniel Seng, Sophia Schambeck und Sarah Zelt

Also der Reihe nach: Sophia Schambeck (Sopranino, was eine kleine Flöte ist) und Daniel Seng (Klavier) begannen mit einem Vivaldi-Konzert. Philipp Wollheim (Violine), Raphael Paratore (Violoncello) und Verena Metzger (Klavier), die ich wenigstens seit 2014 in Groothusen kenne, wo sie an einem Kindermusiktag ein Mendelssohn-Trio aufführten, spielten das „Zigeuner-Trio“ von Haydn. Dann zweimal Saint-Saëns – die Fagottsonate (mit Sophie Dartigalongue) und eine Horn-Romanze (mit Félix Dervaux), beide Male spielte Gajane Saakjana Klavier. Anschließend Sarah Zelt mit ihrer Performance. Und zum Abschluss „meines“ Teiles: „Tzigane“, dieses bös‘ schwere Geigenstück von Ravel, extra für Aurich einstudiert von Matthias Well, wobei sein Pianist Daniel Seng, dessen erster Einsatz bei diesem rund zehnminütigen Stück erst zur Hälfte vorgesehen ist, sich zu gegebener Zeit langsam in den Saal schlich, entspannt die Noten aufstellte und – à point – mit der vorgesehen Akkordfolge einsetzte. Eine tolle Show!

Pause, Trinken, Klönschnack hier und dort. Dann Teil II, nochmal das Ganze, wieder alles prima und keinen Deut weniger hochqualifiziert. Was für tolle Musiker! In der zweiten Pause begann Matthias Kirschnereit mit meinem 2,49 € teuren Schreibstift, den ich bisher nicht zurückbekommen habe, im Pausenraum eine grobe Liste mit den denkbaren Stücken und Programmpunkten für den offenen dritten Teil zu erstellen, kam jedoch zu spät, weil Matthias Well die Sache schon in die Hand genommen hatte. Super!

Lange Nacht der Gipfelstürmer
Hatten sichtlich Spaß bei der Halvorsen Passacaglia: Matthias Well, Philipp Wollheim und Raphael Paratore

Um zwanzig vor elf begann im Forum der „Zugabeteil“, dessen Abfolge bei den „Langen Nächten“ nie jemand vorhersagen kann. Eine gute Stunde lang spielten und amüsierten sich die Künstler nach Herzenslust auf der Bühne und mischten Schnulziges (z. B. die „Méditation“ von Jules Massenet) und Blödsinniges (das Titellied aus „Pippi Langstrumpf“!), Schwieriges (Schubert-Lied als Liszt-Klavierbearbeitung) und Sinnloses (drei Spieler, eine Geige). Ich hatte den großen Spaß, die drei klavierspielenden Gipfelstürmerinnen und Gipfelstürmer (Verena Metzger, Gajane Saakjana und Daniel Seng) vorab zu einer Romance von Sergej Rachmaninoff für Klavier zu sechs Händen überredet zu haben, die ich natürlich noch nie live hören konnte – und die die drei am Nachmittag mal eben einstudiert hatten: Danke schön!

Der Abend klang dann beim Bierchen aus, man wundert sich als Hamburger, was hier in der Kleinstadt doch möglich ist … Na gut, es war auch Weinfest in Aurich (mit Livemusik auf großer Bühne), aber das ist einmal im Jahr. Genau wie die tollen Langen Nächte – und schon kommt die nächste, Nummer neun …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir bedanken uns bei unseren Festivalförderern