Sonata Tussis

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Teilnehmer der Gustav Mahler Akademie Bozen und Mitglieder der Englisch Baroque Soloists in Marienhafe mit Bach pur II

Alison Bury, Konstanze Glander, Carolin Krüger, Diego Aceña Moreno, Heidi Rahkonen und Fabio Fausone
Alison Bury, Konstanze Glander, Carolin Krüger, Diego Aceña Moreno, Heidi Rahkonen und Fabio Fausone

Es ist ja immer so eine Sache mit den Wiederholungskonzerten: Schon bei der Langen Nacht hatte ich das Gefühl, dass eigentlich nach einem Blogbeitrag alles erzählt ist. Im Vorfeld des Gezeiten-SPREAD-Konzertes in der Kirche Marienhafe hatte ich ein bisschen Angst, bei einem Zweizeiler bleiben zu müssen. Doch ein Blick ins Programmheft ließ mich ruhiger schlafen, denn wir hatten ein komplett anderes Programm und auch eine ganz andere Kirche. Angenehm warm war es nach einigen Stunden im ostfriesisch-arktischen Sommerwind.

Begonnen wurde wieder mit einer Triosonate, deren Echtheit zweifelhaft ist. Von wegen „Bach pur“. Sie wird tatsächlich Bachs Schüler Goldberg zugeschrieben. Das Programm sagt „für Goldberg etwas zu gut, für Bach etwas zu schwach“. Ich möchte mich da nicht aus dem Fenster lehnen, ich bin auch nicht gerade der hellste Stern am Generalbass-Himmel. Aber irgendwie fehlte dieser Sonate etwas neues, das gewisse Etwas, das man bei Bach immer hört. Obgleich gut vorgetragen, war es eben „nur“ eine normale viersätzige Sonate nach dem Muster langsam-schnell-langsam-schnell. Angenehm überrascht war ich von der Akustik der etwas kleineren Kirche. Wir saßen wieder mal auf den Mitarbeiter-Plätzen, also ganz hinten. Schön ist immer die relativ freie Sicht durch den Mittelgang, nicht so schön ist, dass die Klänge oft verschwimmen. Gerade beim Cembalo. Doch in Marienhafe kam alles glasklar rüber. Diese kammermusikfreundliche Kirche überträgt leider auch andere Geräusche lupenrein. An dieser Stelle sei nochmal darauf hingewiesen, dass die Ricola-Bonbons von uns auch wirklich umsonst sind und wir gar nicht alle essen können, die wir noch haben.

Es folgte Bachs Sonate Nr. 1 für Violine und Cembalo in h-Moll. Bereits im ersten Satz Adagio hatte der Cembalist Oliver John Ruthven von den English Baroque Soloists wortwörtlich alle Hände voll zu tun, während die Geigerin Konstanze Glander eher begleitend auf langen Tönen blieb. Im ersten Allegro kam das schmerzlich vermisste „Etwas“ zum Ausdruck: Das Cembalo löste sich vollends von der continuo-Funktion und spielte konzertant als zweiter Solist mit. Dabei wurden ungeahnte Höhen aus ihm herausgeholt (d´´´, zieht euch warm an, Barocksoprane). Schwungvoll endete der zweite Satz. Das anschließende Andante machte noch einmal klar, dass langsam nicht gleich langsam sein muss. Im Unterschied zum Adagio war der Grundrhythmus langsam, aber stetig und immer wieder von virtuosen Einschüben und sehr spannenden Harmonieverläufen unterbrochen. Schumann (Danke, Ulf!) beschreibt dieses als „süßeste idyllische Schwärmerei: ein liebevolles, schmeichelndes Durchschlingen von Terzen und Sexten“. Was auch immer die Romantiker genommen haben, ich möchte es unbedingt probieren. Das abschließende Allegro der Sonate erntete viel Applaus. Auch heute war vor allem das Geigenspiel (das kann ich am besten beurteilen) geprägt von technischer Finesse und sehr guter Sauberkeit. So macht man das!

Publikum und Musiker im regen Austausch, Foto: Karlheinz Krämer
Publikum und Musiker im regen Austausch, Foto: Karlheinz Krämer

In der Pause hatte ich Gelegenheit zu zahlreichen Gesprächen über das Konzert. Einige Gäste hatten sogar beide Bach-Programme besucht. Einhelliges Fazit: Beides schön, heute aber noch etwas besser. Dem möchte ich mich absolut anschließen. Nach der Pause kamen alle, die nicht vor lauter Sommer festgefroren waren, zurück in die Kirche. Es folgte eine weiter „Suite imaginaire“, diesmal vier solistische Teile. Drei Streicher boten ihr solistisches Können dar, was durch zahlreiche kehlige Sforzati aus dem Publikum noch bereichert wurde. Bachs Werke-Verzeichnis ist schier unendlich, darum kannte ich zahlreiche Stücke gar nicht. Überrascht war ich, welch virtuose Werke es von diesem älteren Komponisten gibt. Er war seiner Zeit einfach weit voraus.

Abgerundet wurde ein gelungener Abend von der zweiten Orchestersuite, die vor allem wegen des feinfühligen Spieldirigats der ersten Geige dynamisch überzeugen konnte. Als Jazzer würde ich sagen, sie haben „Groove“. Das Finale bildete ein verkapptes Flötenkonzert, die allseits bekannte „Badinerie“, die auf Verlangen des Publikums (standing ovations!) sogar wiederholt wurde. Auch nach dem Konzert war viel Raum für Gespräche mit dem Publikum. Die Musiker waren alle unglaublich nett. Ständig bedankte sich später am Abend jemand bei mir. Danke, aber wofür nur? Ich finde, gerade die Nachwuchsförderung zeichnet die Gezeitenkonzerte aus, nicht nur im FSJ-Bereich. Und es ist immer toll, zwischen den ganzen Superstars (Donnerstag Hope, heute Mönkemeyer) auch mal Menschen zu treffen, die einem im Grunde sehr ähnlich sind: jung und musikbegeistert.

Auch dieses Konzert – ebenso wie das gestrige in Sengwarden – war Bestandteil des SPREAD-Projektes. Aus einer internationalen Zusammenarbeit zwischen der Accademia Gustav Mahler Bolzano (Italien), dem Gustav Mahler Jugendorchester in Wien (Österreich), The Monteverdi Choir and Orchestra Ltd in London (England) und den Gezeitenkonzerten der Ostfriesischen Landschaft (Deutschland) entstand das Projekt SPREAD (Skills, Practise and Recruitment of European Musicians for tomorrow. Audience Development in classical music.), das aus dem Creative Europe Programm der Europäischen Union (Projekt Nr. 2015-1148/001-001) gefördert wird. Ziel ist es, ein Netzwerk für die Ausbildung von jungen Musikern zu bilden, die dazu prädestiniert sind, die besten Orchestermusiker der Zukunft zu werden. In den eindrucksvollen Kirchen Sengwarden und Marienhafe sind diese jungen Musiker zusammen mit ihren Dozenten von den English Baroque Soloists zu erleben.

Zufriedene Musiker, begeistertes Publikum: Ein toller Abend!
Zufriedene Musiker, begeistertes Publikum: Ein toller Abend!

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