Das singende Cello in Wittmund

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Daniel Müller-Schott und Matthias Kirschnereit in der Nicolaikirche Wittmund

Warten auf den Einlass zum Gezeitenkonzert vor der Kirche Wittmund, Foto: Karlheinz Krämer
Warten auf den Einlass zum Gezeitenkonzert vor der Kirche Wittmund, Foto: Karlheinz Krämer

Man kommt sich zwar ein wenig blöd vor, wenn man von seinen eigenen Konzerten nur schwärmen kann, aber was soll ich sagen? Auch der Duo-Abend von Daniel Müller-Schott und Matthias Kirschnereit war nun einmal ein grandioses Erlebnis. Entgegen anders lautenden Gerüchten, kennen die beiden einander noch gar nicht so lange. Erst im vergangenen Jahr haben sie sich bei einem gemeinsamen Konzert kennengelernt.

In der Kirche zu Wittmund stand bei diesem Gezeitenkonzert zuerst Robert Schumanns Adagio und Allegro für Violoncello und Klavier in As-Dur op. 70 auf dem Programm. Ein kurzes Stück, nur neun Minuten lang, aber das hatte es schon gleich in sich. Nach den ersten Takten war man sofort in der Musik abgetaucht. Langsam, mit innigem Ausdruck begann das Cello zu singen, das Klavier später einsetzend blieb dezent im Hintergrund. Dann ein abrupter Wechsel durch einen kraftvollen Klavierakkord: Es wurde rasch und feurig bis dann zum Schluss das Cello erneut zu singen begann. Ein Herr im Publikum der wiederum lange ausverkauften Kirche konnte leider das Ende des kurzen Stückes nicht abwarten und tobte von der Empore quer durch den Saal nach draußen, nicht ohne die Innentür laut ins Schloss fallen zu lassen. Schade, dass er so ungeduldig war: In den meisten Fällen ist die Spieldauer der Stücke im Abendprogramm angegeben.

Brachte sein Cello zum Singen: Daniel Müller-Schott, Foto: Karlheinz Krämer
Brachte sein Cello zum Singen: Daniel Müller-Schott, Foto: Karlheinz Krämer

Die tolle Akustik der glücklicherweise noch kühlen Kirche war hervorragend für diese Instrumentierung geeignet. Daniel Müller-Schott war gleich nach den ersten angespielten Noten begeistert. Im Anschluss an Schumann gab es statt der in der Programmbroschüre angekündigten zweiten, die dritte Suite für Violoncello solo. Die Bach-Suiten gehören vermutlich zu den am häufigsten gespielten Solo-Stücken für dieses Instrument. Auch bei den Gezeitenkonzerten waren sie schon des Öfteren im Einsatz. Und jeder hat da bestimmt seinen persönlichen Liebling. Mittlerweile mag ich sie alle, aber lieber einzeln in ein Programm eingebaut, als alle sechs hintereinander. Bei dieser kommt das Prélude etwas schräg daher und hat im Gegensatz zur folgenden Allemande keinen Tanzcharakter, wobei es dort eher ein Hüpfen denn ein Tanzen ist. Diese Bach-Suite gehört nicht zu meinen Favoriten, obwohl ich ab den beiden Bourrées doch langsam hineinfinden konnte, wurde es meinem Empfinden nach ab dort intensiver. Daniel Müller-Schott zu lauschen, ist ein Genuss. Sehen konnte ich leider nur wenig von ihm, was meine Konzentration auf die Musik jedoch verstärkte.
Im Anschluss gab es einen lange anhaltenden, lauten Applaus, sodass der Cellist mehrfach auf- und abging.

Daniel Müller-Schott und Matthias Kirschnereit beim Gezeitenkonzert in Wittmund, Foto: Karlheinz Krämer
Daniel Müller-Schott und Matthias Kirschnereit beim Gezeitenkonzert in Wittmund, Foto: Karlheinz Krämer

Als nächstes kam die Sonate für Violoncello und Klavier d-Moll op. 40 von Dmitri Schostakowitsch. Eine melancholische Stimmung wurde transportiert, die jedoch gleich im ersten Satz von witzigen Passagen abgelöst wurde. Da gab es Pizzicati vom Cello und einzelne Töne vom Klavier, um sich dann zu einem leichten Trab zu vereinigen, dann Dramatik, Misstöne, die das Gefühl vermittelten, jemand wolle vor etwas fliehen. Nach dem zweiten Satz flüsterte die Dame hinter mir ihrer männlichen Begleitung zu: „Stark!“ Das Largo erschien mir besonders intensiv mit dem langsamen Cello zu Beginn mit einer traurigen Melodie, die vom Klavier noch unterstrichen wurde. Es wurde flehender, klagend. Dann das Allegro mit perlenden Klaviertönen, fast tänzerisch. Ein tolles Stück!

Bei den beiden Gezeitenkonzerten in Carolinensiel und Wittmund fiel mir besonders auf, dass Matthias Kirschnereit den „Stars“ ihren Raum lässt. Der Abend mit Daniel Müller-Schott war für mich sehr vergleichbar mit dem mit Carolin Widmann. Beide spielten solo und gemeinsam mit Matthias. Ein hoher Anspruch an sich selbst und eine technische Raffinesse gepaart mit ungeheurer Spielfreude ist bei beiden absolut vorhanden. Das Programm war bei beiden Konzerten so aufgebaut, dass alle Vorzüge der Spielenden zur Geltung kamen – es war einfach purer Hör- und Sehgenuss. Matthias Kirschnereit hat nie die Gelegenheit genutzt, sich in bestimmten Passagen, wo es für das Klavier bestimmt auch möglich gewesen wäre, in den Vordergrund zu spielen, sondern hat sich behutsam zurückgenommen.

Das Foto entstand heimlich bei der Probe (Karlheinz Krämer)
Das Foto entstand heimlich bei der Probe (Karlheinz Krämer)

Nach der Pause hatte auch die Wärme in der Kirche deutlich zugenommen, sodass die beiden Musiker beschlossen hatten, ihre Hemden wegzulassen und im T-Shirt zu spielen: eine gute und sympathische Entscheidung! Als letztes Stück stand Brahms Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1 e-Moll op. 38 auf dem Programm: ein halbstündiger großer Genuss mit einem halsbrecherisch schnellen dritten Satz, für den sich die 310 Personen in der erstmalig im Rahmen der Gezeitenkonzerte ausverkauften Nicolaikirche Wittmund mit frenetischem Applaus, Bravo-Rufen und Fußgetrappel sowie Standing Ovations bei den beiden Künstlern bedankten. So gab es dann gleich zwei Zugaben: Ludwig van Beethovens Scherzo aus dessen 3. Sonate für Violoncello und Klavier sowie Schumanns Fantasiestück. Schon in der Pause hatte ich die Gelegenheit, Mäuschen zu spielen. Und so wurde fasziniert von dem sauberen Ton des Cellos gesprochen, wo man einfach keinen Ansatz hören könne. Daniel Müller-Schotts Spiel sei perfekt, aber keineswegs technisch oder seelenlos. Das war die Bestätigung meines Eindrucks. „Ganz toll!“, war das Urteil nicht nur einer Dame.

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