“Ein Komet am niedersächsischen Festivalhimmel”

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Start der fünften Saison der Gezeitenkonzerte am 24. Juni 2016

Begrüßung durch Ministerpräsident und Schirmherr der Gezeitenkonzerte Stephan Weil, Foto: Karlheinz Krämer
Begrüßung durch Ministerpräsident und Schirmherr der Gezeitenkonzerte Stephan Weil, Foto: Karlheinz Krämer

Ausverkaufte Emder Johannes a Lasco Bibliothek mit gut 430 Zuhörern – war klar. Einleitendes von Landschaftspräsident Rico Mecklenburg – war klar. Schließlich eine kurze Rede des musikalischen Leiters Matthias Kirschnereit – war auch klar. Dazwischen – und jetzt kommt’s – ein Grußwort des Niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil, in diesem Jahr Schirmherr der Gezeitenkonzerte, der seinen Arbeitstag in Emden mit dem Besuch des Auftaktkonzertes abrundete. Und seine Worte haben Gewicht: Die erfolgreich in ihre fünfte Saison gestarteten Gezeitenkonzerte „sind ein Komet am niedersächsischen Festivalhimmel.“ Die künstlerischen Leistungen wären beeindruckend, die kulturelle Vielfalt in „seinem“ Land sei ohnehin besonders. Er sei gerne hier in Emden und freue sich nun auf die Musik. Dafür vielen Dank – und damit kommen wir zur inhaltlichen Hauptangelegenheit.

Das Mendelssohn Kammerorchester Leipzig mit seinen dreizehn Streichern (4 + 3 Geigen, 3 Bratschen, 2 Celli, 1 Kontrabass) unter der Leitung von Andreas Mitschke legte los mit Felix Mendelssohn Bartholdys quasi dreizehnter Streichersinfonie in c-Moll (N 14). Das einsätzige Werk, entstanden bereits nach Vollendung der „richtigen“ Sinfonie Nr. 1, bündelt barocke Tradition mit romantischem Streichersound und klang in dieser kleinen, wohl originalen Besetzung, sehr gut ausbalanciert und spannend.

Mendelssohn Kammerorchester Leipzig unter der Leitung von Andreas Mitschke mit Ingolf Turban (Violine), Foto: Karlheinz Krämer
Mendelssohn Kammerorchester Leipzig unter der Leitung von Andreas Mitschke mit Ingolf Turban (Violine), Foto: Karlheinz Krämer

Eine aufbautechnisch sinnvolle Umstellung ließ nun zunächst Ingolf Turban mit Johann Sebastian Bachs E-Dur-Violinkonzert (BWV 1042) auftreten. Andreas Mitschke leitete vom Cembalo aus. Faszinierend ausbalancierte dynamische und auch sonst musikalisch durchdacht erarbeitete Feinheiten haben mich sehr bewegt, obwohl das bekannte Stück, unter Bachs „Greatest Hits“ einsortiert, selbst auf NDR Kultur aus Versehen schon mal ungekürzt gespielt wird. Ein Meisterwerk, bestens dargeboten, zu Recht sehr großer Beifall!

Nun wurde der große Steinway-D-Flügel in die Bühnenmitte gerollt, und Matthias Kirschenreit spielte Bachs f-Moll-Klavierkonzert (BWV 1056). Auch hier musikalisch gut Erarbeitetes, schöne Details, vielleicht manchmal etwas viel Klavier (der Flügel passt besser zur großen Romantik) im Vergleich zu einem guten Dutzend Streicher (ein veritables Streichorchester passt besser zu einem großen Flügel).

In der wie immer angenehm langen Konzertpause blieb es dankenswerterweise trocken in Emden, so dass sich eine entspannte Atmosphäre erleben ließ. Matthias Kirschnereit hatte die Gezeitenkonzerte als „Mitspielen bei den Großen“ deklariert und konnte schon bei den Weltklassepianisten bereits ein halbes Dutzend aufzählen, die wir hier im ansonsten ruhigen Landstrich begrüßen durften. Als einer der vier besten Drittplazierten sind wir jedenfalls locker im Achtelfinale, und das Turnier ist ja noch lange nicht vorbei…

Ingolf Turban und Matthias Kirschnereit mit dem MKOL
Ingolf Turban und Matthias Kirschnereit mit dem MKOL

Was Bach in Violin- und Klavierkonzert aufteilte, koppelte Mendelssohn 1823 als Teenager in seinem Doppelkonzert in d-Moll (O 4), wobei er sich die Freiheit nahm, die drei Sätze mit über 30 Minuten etwa genau so lang werden zu lassen wie die beiden Solokonzerte vor der Pause. Ingolf Turban und Matthias Kirschnereit spielten das Jugendwerk, vom Komponisten für sich selbst und seinen geschätzten Geigenlehrer Eduard Ritz geschrieben, mit hörbarem Engagement, musikalischem Feuer und sichtbarem Spaß. Vom großartigen Mendelssohn Kammerorchester Leipzig, das seine begleitenden Aufgaben mehr als makellos erfüllte (was für eine herrliche und zugleich grundfalsche Formulierung), hätte ich jetzt gern noch ein Zusatzstück gehört, z. B. Bachs geniales Brandenburgische Konzert Nr. 3.

Wer wie ich geglaubt hat, die Gezeitenkonzerte würden nach nur zwei Konzerten am 26. Juni sinnfrei Pause machen, weil gerade mal kein Weltstar Zeit hätte, darf sich getäuscht fühlen: Der organisatorische Leiter Dirk Lübben analysierte direkt nach der Auslosung im Dezember die Fußball-EM-Gruppensituation und teilte der UEFA formlos mit, dass Deutschland gern am Sonntag um 18:00 Uhr als Gruppensieger das Achtelfinale spielen möge. Man hat dem Vorschlag stattgegeben, so dass wir dank vorausschauender Planung einen entspannten und hoffentlich spannenden Fernsehabend erleben dürften.

Komme, was da wolle – die nächsten noch mehr als dreißig Gezeitenkonzerte, deren Motto in diesem Jahr zu Ehren des 400. Geburtstags von William Shakespeare „SommerNachtsTraum“ heißt, stehen bevor, und die Vorfreude auf weitere außerordentliche Erlebnisse ist groß. Unser Festival hat zum fünften Mal Fahrt aufgenommen und mit dem motto-musikalisch naheliegenden Mendelssohn-Schwerpunkt im Zusammenspiel mit dessen Vorbild Bach in der Emder Johannes a Lasco Bibliothek gleich ein gewichtiges Ausrufezeichen gesetzt.

Blick ins Publikum beim Auftakt der Gezeitenkonzerte in der vollbesetzten Johannes a Lasco Bibliothek, Foto: Karlheinz Krämer
Blick ins Publikum beim Auftakt der Gezeitenkonzerte in der vollbesetzten Johannes a Lasco Bibliothek, Foto: Karlheinz Krämer

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