Musik, die in sich selbst hineinzuhören scheint

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Porträtkonzert mit Peter Ruzicka im Rahmen der Gezeitenkonzerte, Foto: Karlheinz Krämer
Porträtkonzert mit Peter Ruzicka im Rahmen der Gezeitenkonzerte, Foto: Karlheinz Krämer

Wenn man nachmittags zum ersten Mal vor der Kunsthalle Emden steht und weiß, welches Gezeitenkonzert hier abends vorgesehen ist, bleiben keine Fragen offen: Hier muss tatsächlich Neue Musik gespielt werden! Das moderne, helle Atrium mit seinen weißen Wänden, an denen großformatige Gemälde hängen, dazu das Tageslicht von hoch oben – das ist perfekt. Und so schwierig es immer ist, viele Musikfreunde für zeitgenössische Klänge zu interessieren, war es doch befriedigend, dass etwa sechzig Besucher für dieses sechste Konzert unseres Festivals eine Eintrittskarte hatten.


Am 25. Juli ab 20:00 Uhr stand das Werk von Peter Ruzicka im Kunsthallen-Atrium im Mittelpunkt. Sieben Werke des 1948 in Düsseldorf geborenen Komponisten, der aber auch als Intendant (u. a. in Hamburg, München und Salzburg) und Dirigent weltweit aktiv ist, bildeten den musikalischen Rahmen. Das Komponistenporträt: Peter Ruzicka präsentierte in zwei Abschnitten je rund eine Stunde Musik, abwechselnd für Streichquartett und Klavier solo, unterbrochen von einer halbstündigen Pause und jeweils eingeleitet von einem etwa zehnminütigen Gespräch zwischen Peter Ruzicka und Matthias Kirschnereit, der dem Komponisten biographische und kulturpolitische Fragen stellte und ihm dazu einige spannende Antworten entlockte.

Alexandra Lubchansky, Foto: Karlheinz Krämer
Alexandra Lubchansky, Foto: Karlheinz Krämer

Alle sechs Interpreten des Abends sind Spezialisten für Peter Ruzickas Musik. Die Pianistin Sophie-Mayuko Vetter spielte sechs „Preludes“ (1987), „Fünf Szenen“ (2009), „Über Unstern – späte Gedanken für Klavier“ (2013). Schließlich kam noch eine Uraufführung hinzu: „R. W. – Nachzeichnung für Klavier“, Musik über Musik über Musik (Peter Ruzicka), mit deren Hilfe Ruzicka sein fast gleichnamiges Orchesterwerk („R. W. – Übermalung für Orchester“, 2013) über Musik von Richard Wagner kommentierend wiederum auf den reinen Klavierklang reduzierte. Die Gezeitenkonzerte dürfen sich geehrt fühlen, dass Emden nun als Uraufführungsort für dieses ausdrucksstarke Stück dokumentiert ist. Und obwohl die Initialen „R. W.“ vielleicht anderes vermuten lassen, waren sie alles andere als nicht gegenwärtig…

Minguet Quartett, Foto: Karlheinz Krämer
Minguet Quartett, Foto: Karlheinz Krämer

Von Peter Ruzickas sechs Streichquartetten wurden in Emden gleich drei zu Gehör gebracht. Das Minguet Quartett (Ulrich Isfort, Annette Reisinger, Aroa Sorin und Matthias Diener) spielte im ersten Teil Nr. 2 („…fragment…“, 1970) und Nr. 3 („…über ein Verschwinden“, 1992), beide mit spannenden Anklängen an Musik von Gustav Mahler. Im Streichquartett Nr. 6 („Erinnerung und Vergessen“, 2008), das zusätzlich das Hölderlin-Gedicht „Mnemosyne“ thematisiert, kam die Sopranistin Alexandra Lubchansky dazu, die trotz vorgerückter Stunde mit unfassbar sicherer Stimme auch die vertracktesten Koloraturen glasklar darzustellen vermochte. Wie überhaupt auch das Minguet Streichquartett mit enormer Intensität agierte, weshalb die komplexen Klänge der oftmals langsamen, leisen und wie in sich selbst hineinhorchenden Musik von Peter Ruzicka vor den atemlos ruhigen Zuhörern ihre Wirkung nicht verfehlten.

Sophie-Mayuko Vetter, Foto: Karlheinz Krämer
Sophie-Mayuko Vetter, Foto: Karlheinz Krämer

Wenn man abends – oder besser: nachts, denn es war weit nach 23:00 Uhr geworden – vor der dezent beleuchteten Emder Kunsthalle steht und gerade ein unglaublich intensives Musikerlebnis in sich aufgenommen hat, bleibt die Erkenntnis, dass Zeit und Stille miteinander verbunden sind. In einem Interview (ON, 27. Juni) hatte Peter Ruzicka genau diesen Effekt angestrebt: „Für mich stellt Stille untergründig eine Form von Musik dar.“

Ulf Brenken

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