Sie sägten das Dach auf

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Clair-obscur Saxophonquartett in Ditzum

Das Clair-obscur Saxophonquartett macht sich auf den Weg zur Kirche, Foto: Karlheinz Krämer
Das Clair-obscur Saxophonquartett macht sich auf den Weg zur Kirche, Foto: Karlheinz Krämer

Keine Ahnung, wie der Informationsfluss im ostfriesischen Funkloch erfolgreich vonstatten geht, aber in kürzester Zeit hatte sich offenbar herumgesprochen, was man verpassen würde, wenn man keine Karten für Ditzum sein eigen nennt, weshalb das Gezeitenkonzert des Berliner Clair-obscur Saxophonquartett am 26. Juli um 17:00 Uhr in der Kirche für meine Begriffe unfassbar schnell ausverkauft gemeldet wurde.

Gut, vier Saxophone im Niemandsland westlich von Leer – da kann das schon mal passieren, wenn die Verwandtschaft nicht kollektiv zum Grillen einlädt. Was allerdings unbegreiflich erscheint, ist die Tatsache, dass sich nicht nur das Clair-obscur Saxophonquartett am 26. Juli um 20:00 Uhr ein Zusatzkonzert zu spielen bereit erklärte, sondern auch entsprechend sehr viel Publikum diesen zweiten Termin wahrgenommen hat, weshalb wahrscheinlich auch die regulären Familienfeste vor Ort (Geburtstage, Hochzeitstage, positiv ausfallende Finanzamtsbescheinigungen) an diesem Sonntagabend nur spärlich frequentiert wurden.

Clair-obscur Saxophonquartett, Foto: Karlheinz Krämer
Clair-obscur Saxophonquartett, Foto: Karlheinz Krämer

Meine Freikarte galt nur für das erste, also das „richtige“ Konzert um 17:00 Uhr. Und es ging gut los: Landschaftspräsident Rico Mecklenburg fand freundliche Worte zu Gastgeber, Publikum und Förderer (Premiere für Sandersfeld Sicherheitstechnik, Leer – und auch von mir: Willkommen an Bord!). Dann legten sie los und spielten Bach, der – so die Ansage des Tenorsaxophonisten Christoph Enzel – das Italienische Konzert nicht für ein Tasteninstrument, sondern für vier Saxophone geschrieben hätte, wäre ihm die heute aufspielende Combo bekannt gewesen. Tosender Applaus für die musikalische Darbietung Nummer eins.

Darbietung Nummer zwei, das Oboenquartett von Mozart, wurde von Jan Schulte Bunert, dem „Oboisten“ mit dem Sopransaxophon, präsentiert. Vier Saxophone statt einer Oboe plus drei Streicher – dadurch bekam die Musik Mozarts einen anderen Wert, weil der Gesamtklang nicht nur zweifarbig, sondern bunt erschien, was mir sehr gut gefiel. Noch tosenderer Applaus, besonders für die angeschwitzte „Oboe“.

Zwischen den Stücken konnten die vier Musiker nicht mal eben raus aus der Kirche und wieder rein in die Kirche, dafür war es einfach zu eng und der Weg durch den Mittelgang vergleichsweise unpraktisch lang. Also ging es einfach weiter: Kathi Wagner (Baritonsaxophon) fasste sehr kurz die Story des „Nußknacker“ zusammen, und schon begann – nicht die „Nußknacker“-Suite, auf die ich mich gefreut hatte, sondern sozusagen nur eine Suite aus der Suite, nämlich Ouvertüre, Tanz der Rohrflöten, Russischer Tanz. Schluss, Aus, tosender Applaus. Aber leider auch schon Pause.

Entspannt im Trockenen sitzend (man hätte in Ditzum und Umgebung quasi auch Grillen können), ließ sich eine kleine, feine Catering-Speise aus Haases Beständen genießen. Auch die böse Einschränkung des Tschaikowsky-Programmpunktes wurde aufgelöst: Man nähme Rücksicht auf das doppelte Konzertprogramm und würde deshalb die eine oder andere Kürzung verantworten können. Nun ja…

Direkt nach der Pause ging es ohne einführende Worte der Musiker gleich mit minimal music von Philipp Glass weiter, dessen Streichquartett Nr. 3 „Mishima“ von 1985 auch in der Saxophonfassung überzeugend klang. Das Publikum begann neben dem tosenden Applaus auch noch zu trampeln, was aber wohl nicht darauf zurückzuführen war, dass auch beim Glass-Quartett zwei Sätze gestrichen wurden.

Nun also Darbietung Nummer fünf, angesagt auf französisch (meistens von Christoph Enzel) und übersetzt im Wechsel von den anderen drei Holzbläsern (denn ein solches ist ein Saxophon, jawoll!). Von der Introduction bis zum Final („Et finalement: le Final“ – übersetzt von Altsaxophonistin Claudia Meuris in: „Und abschließend: das Ende“) folgte nun die Bühnenshow mit Saint-Saёns’ Le Carnaval des animaux (Der Karneval der Tiere). Was für ein Spaß – auf, neben und vor der Bühne! Musiker und Publikum gleichermaßen freuten sich über diese satirische Komposition, die aus Rücksicht auf hemmungslos veralberte lebende und verstorbene Komponistenkollegen (inklusive Selbstironie) eigentlich erst nach Saint-Saёns’ Tod an die Öffentlichkeit gelangen durfte. Ich kam aus dem Lachen kaum noch heraus.

Clair-obscur Saxophonquartett, Foto: Karlheinz Krämer
Clair-obscur Saxophonquartett, Foto: Karlheinz Krämer

Zum Abschluss dann Darbietung Nummer sechs, drei kurze Gershwin-Songs: I Got Rhythm, Somebody Loves Me und Lady Be Good. Und als Zugabe, denn ohne wurden sie trotz bevorstehenden Zusatzkonzerts selbstverständlich nicht entlassen, Piazzollas Libertango. In Ror Wolfs unvergleichlicher Radio-Ballade „Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nord-Amerika“, die ich unendlich liebe, sagt Bix (mit der Stimme von Christian Brückner) unvergessliche Dinge, darunter dieses: „Es gibt neben dem Spielen noch andere Dinge auf der Welt, im Augenblick habe ich ganz vergessen, was das für Dinge sind, aber es gibt sie. – MUSIK kurz freistehend. Min Leibrooks Tuba dampfte und Johnsons Tenorsax sägte das Dach auf, wir schwirrten alle hinaus, die Leute schauten uns hinterher, Carmichael winkte mir zu – es war schön.“ Und genau so war es, in der Kirche Ditzum, aber bestimmt nicht erst bei Gershwin: Das Clair-obscur Saxophonquartett sägte das Dach auf. Ein größeres Kompliment kann von mir nicht kommen.

Ulf Brenken

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